„Zwischen den Stühlen“ ist auch ein Platz
Über das Weisheitspotenzial der Sandwich-Position
„Zwischen den Stühlen sitzen“ – klingt nach Zerrissenheit, Belastung, Unsicherheit.
Gerade neulich in einer Beratung beschrieb mir eine Frau, wie sie sich immer wieder in der Position wiederfindet, zwischen ihrer Mutter und ihrer Tochter vermitteln zu müssen, wie sie immer wieder "zwischen den Stühlen sitzt“ und sie es gefühlt „einfach niemandem Recht machen kann“.
„Zwischen den Stühlen“ fühlen wir uns oft auch hin und her gerissen beim Begleiten von Geschwisterkindern. Oder bei der Prioritätensetzung „Me-Time oder Paarzeit“? Oder zwischen Familie und Beruf, ständig begleitet von dem Gefühl nichts und niemandem wirklich gerecht zu werden.
Lass uns einen neuen Blick auf diesen Platz zwischen den Stühlen werfen!
Und zwar – du kennst mich: voller Konfliktliebe!
Denn was, wenn genau dort – mitten in der Sandwichposition– ein Platz ist, der tieferes Verstehen ermöglicht? Was, wenn dieser Platz sogar ein wertvoller Kompetenzraum ist – für Verbindung, Reflexion und Haltung?
Mir war der Platz zwischen den Stühlen schon früh sehr vertraut. Schon in der Grundschule hatte ich einen guten Draht, Sympathien und Verständnis auch für die Außenseiter, die die anderen eher mieden, war oft Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und den Außenseitern. Später im beruf – in stellvertretender Leitungsfunktion – war ich oft Übersetzerin zwischen Team und Leitung – gehörte weder ganz zum Team noch ganz zur Leitung. Auch da: Zwischen den Stühlen.
Mit den Jahren habe ich erkannt: Dieser Sandwich-Platz ist nicht nur unbequem. Im Gegenteil! Er birgt ein unheimliches Weisheitspotenzial. Und ja – ich hab schon einige graue Haare – ich darf das sagen ;-)
Verstehen wollen – immer und überall
Als Kind konnte ich manche Filme kaum ertragen – nicht wegen Horror oder Blut, sondern weil mich das Drama emotionaler Missverständnisse so aufwühlte. Wenn sich zwei Menschen einfach nur hätten zuhören müssen! Aaah! Unerträglich! Ich saß da, mitfühlend, irritiert – aber vor allem: voller Verstehensdrang. Irgendwie sah ich schon früh sehr klar: Wenn X nur DAS über Y wüsste, würde X verstehen, warum Y so gehandelt hat. Und von diesem gemeinsamen Verständnis aus, könnten sie dann gemeinsam weitergehen. Oder manchmal vielleicht auch nicht, aber dann wenigstens aus „geklärten“ Gründen, und nicht, weil ein Miss-Verständnis sie auseinandergetrieben hatte.
Diese „Ich will es einfach verstehen“-Haltung ist für mich als Mediatorin unfassbar hilfreich. Denn sie hilft mir, bewertungsfrei zu bleiben und – vielleicht ein bisschen pragmatisch – das (an)zunehmen, was der jeweilige Mensch gerade mitbringt. Egal auf welcher Seite er gerade steht, egal auf welchem Stuhl er gerade sitzt.
Im Verstehen-wollen der unterschiedlichen Positionen ging es mir instinktiv nie darum zu erfahren, „wer recht hat“, sondern vielmehr greifbar und spürbar zu machen, was andere bewegt. Worauf ihre Entscheidungen beruhen. Wie ihr Inneres tickt.
Zwischen den Stühlen – oder MITTENDRIN?
Früher dachte ich oft, ich sei einfach zu sensibel. Zu mitfühlend. Nicht klar genug. Positionierungsschwach. Heute weiß ich: Es ist eine hilfreiche Stärke.
Denn zwischen den Stühlen zu sitzen, kann bedeuten:
- Grenzräume zu halten, ohne sich zu verlieren.
- Spannung auszuhalten, ohne zu explodieren.
- Unterschiedliche Perspektiven verstehen, ohne sich vereinnahmen zu lassen.
Gerade in Mediationen oder meiner Arbeit mit Familien merke ich: Wer zwischen den Stühlen sitzt, sieht mehr. Wer verstehen will, braucht diesen Platz – nicht als Spagat, sondern als selbstgewählten Standort.
Die Sandwich-Position als Kompetenzfeld
Viele Frauen, die ich begleite, beschreiben eine ähnliche Erfahrung: Sie bemuttern ihre Kinder, betochtern ihre Eltern, jonglieren zwischen Care-Arbeit und Karriere – und fühlen sich dabei zerrissen, erschöpft, unsichtbar. Das Bild der „Sandwich-Generation“ ist treffend – aber oft auch entmutigend, einengend.
Let’s reframe! Denn was ich bei vielen sehe, die sich zwischen den Stühlen empfinden, ist tiefe emotionale Reife. Umsicht. Differenziertheit. Und ein enormes Potenzial für Verbindung und Wandel.
Die „Zwischen-den-Stühlen-Sitzenden“ wissen:
- ...wie sich Ambiguität anfühlt.
- ...wie man vermittelt, ohne Partei zu ergreifen.
- ...wie man zuhört, ohne zu urteilen.
Zwischenräume als Möglichkeitsräume
Ich wünsche mir, dass wir den Platz zwischen den Stühlen aufwerten. Dass wir ihn bewusst wählen, statt ihn als Mangel zu empfinden. Und dass wir ihn uns schön machen – mit Rückenkissen, Klarheit, Eigenmacht.
Ja, oft ist dieser Platz vielleicht nicht bequem – aber er ist ehrlich. Und er lädt dazu ein, nicht im Entweder-Oder zu verharren, sondern das verbindende Dazwischen zu gestalten.
Vielleicht braucht unsere konfliktscheue, polarisierte Gesellschaft gerade mehr Menschen, die diesen Platz einnehmen. Die Ambivalenzen aushalten. Die Grautöne erkennen. Die Haltung zeigen – nicht aus Prinzip, sondern aus innerer Klarheit.
Mein Vorschlag:
Lass uns symbolisch, gedanklich einen eigenen Stuhl in die Mitte stellen – selbstbewusst, würdevoll, mit Rückenlehne und Standfestigkeit. Unseren Zwischen-den-Stühlen-Stuhl.
Er ist nicht neutral, aber differenziert.
Nicht bequem, aber weitsichtig.
Nicht laut, aber wirksam.
Und wer dort sitzt, darf selbstbewusst sagen:
„Ich sitze vielleicht zwischen den Stühlen – aber ich bin ganz bei mir.“
Voller Konfliktliebe,
Christiane
Lust auf mehr?
Wenn dich der Blick auf den „Zwischenraum“ berührt hat und du spürst, dass genau dort dein eigener Entwicklungsspielraum liegt – dann wirf doch auch mal einen Blick in mein Buch „Tochter sein auf Augenhöhe“. Es begleitet dich auf einer persönlichen Reise hin zu mehr Klarheit, Selbstfürsorge und einer neuen Gestaltung deiner Tochterrolle – jenseits von Schwarz-Weiß-Mustern.
Und wenn du deine Konflikthaltung ganz praktisch trainieren möchtest: In meinem 3-monatigen Onlinetraining „Konflikte & Cocktails“ mixen wir uns Haltung wie einen guten Drink – mit Klarheit, Humor und Tiefe. Mitte September startet die nächste Runde!