Regulationskompetenzen
Dein Nervensystem: Zentraler Akteur für deine Konfliktgestaltung

Wie dein Nervensystem die Regie für deinen „inneren Film“ übernimmt – und warum das unsere Wahrnehmung der Welt, unsere Konflikte und unsere Geschichten verändert
Hast du schon mal einen Streit erlebt, der dich tief getroffen hat – mehr, als er eigentlich sollte? Oder sitzt du gerade regelmäßig fassungslos vor den Nachrichten und hast das Gefühl, die Menschheit steht vor dem Abgrund? Ich wette: in beiden Fällen lautet deine Antwort: Ja. Und beide Szenarien werden mit Sicherheit auch wieder vorkommen (schließlich dreht die Männerwelt mit Trumps und Musks und Merzs gerade nochmal so richtig auf…) – daher wirst du es nicht bereuen, dir ein wenig nervensystemisches Rüstzeug mit auf deine künftige Konfliktbewältigungsreise zu nehmen.
Schauen wir also genauer hin:
Szene 1: Familientreffen mit deiner Mutter
Es ist Sonntag. Du sitzt bei deiner Mutter am Küchentisch, und das Gespräch verläuft wie immer: freundlich, aber angespannt. Irgendwann fällt ein Satz: „Früher warst du immer so unkompliziert. Warum muss das heute jedes Mal so schwierig sein, etwas zusammen zu planen?“ Plötzlich merkst du, wie dein Herz schneller schlägt, deine Achselhöhlen werden nass und innerlich kochst du. Du willst etwas erwidern, aber die Worte fühlen sich wie ein Knoten in deinem Hals an.
An einem anderen Tag hättest du vielleicht einfach ruhig geantwortet: „Ich plane so, wie es für uns funktioniert.“ Doch heute bist du gereizt und schießt zurück: „Weißt du was, Mama? Vielleicht hörst du einfach mal auf, mich zu kritisieren!“ Und Zack – der Kaffeeklatsch ist gelaufen.
Warum reagierst du heute so und morgen so? Ein Blick auf dein Nervensystem hilft – denn es gibt vor, in welcher Sparte dein persönlicher Konfliktfilm im Kino laufen würde: Psychothriller, Drama oder Comedy?
Szene 2: Weltnachrichten im Sekundentakt
Du scrollst durch die Nachrichten. Schlagzeilen über Gaza, polarisierende Rhetorik von Politikern, die nächste Bundestagswahl, Trump ist wieder Präsident, Merz, Musk und aggressive Männlichkeit füllen dein Feed. Du bist empört, fassungslos, erschüttert… spürst Wut, Hilflosigkeit. Mit jedem weiteren Beitrag wird die Welt düsterer, die Zuversicht geringer.
In einer ruhigeren Verfassung hättest du dich vielleicht gefragt: „Wie kann ich einen konstruktiven Beitrag leisten?“ Aber in diesem Moment fühlt es sich so an, als würde die Welt nur noch auseinanderbrechen. Deine Gedanken drehen sich im Kreis: Wie soll das jemals besser werden?
Auch hier beeinflusst dein Nervensystem, ob du dich überfordert oder handlungsfähig fühlst.
Warum der Zustand deines Nervensystems die Regie übernimmt
Das Konzept „Story follows state“ (so formuliert von Deb Dana) zeigt, dass unsere Wahrnehmung von unserer inneren Verfassung abhängt. Beide Szenarien von eben – ob Streit mit der Mutter oder Konsum von Nachrichten – werden durch die „Brille“ deines Nervensystems gefiltert. Die Polyvagal-Theorie (entwickelt von Dr. Steven Porges) erklärt, wie das funktioniert und beschreibt 3 Zustände des Nervensystems:
- Sicherheitsmodus (ventral-vagal): Du fühlst dich sicher und ruhig. Deine Wahrnehmung ist offen, deine Geschichten sind lösungsorientiert. Ein Gespräch mit deiner Mutter könnte produktiv verlaufen, die Nachrichten erscheinen dir differenziert und nicht überwältigend.
- Alarmmodus (sympathisch): Dein Nervensystem ist aktiviert. Du bist in Kampf- oder Fluchtbereitschaft. Bei deiner Mutter nimmst du ihre Worte als persönlichen Angriff wahr, und die Nachrichten fühlen sich wie eine Bedrohung deiner Welt an.
- Rückzugsmodus (dorsal-vagal): Dein System fährt herunter. Du fühlst dich taub und kraftlos. Ein Konflikt mit deiner Mutter endet in Resignation, und die Welt erscheint dir hoffnungslos.
Regulieren statt Reagieren
Das Gute ist: Du kannst lernen und üben, dich in stressigen Momenten zu regulieren. Hier sind einige Ansätze:
- Atmen und Kontaktpunkte finden: Wenn du spürst, dass die Emotionen hochkochen, versuche bewusst zu atmen. Tief durch die Nase einatmen, langsam durch den Mund ausatmen. Konzentriere dich bewusst auf die Stellen deines Körpers, die jetzt gerade Kontakt „zum Außen“ haben (zB deine Sitzhöcker zum Stuhl, dein Rücken zur Lehne, deine Fußsohlen zum Boden…) Das beruhigt dein Nervensystem.
- Den Kontext wechseln: Bei deiner Mutter könntest du sagen: „Ich gehe kurz an die frische Luft.“ Bei den Nachrichten könntest du bewusst eine Pause machen und etwas tun, das dir Energie gibt.
- Reflektieren statt Reagieren: Frage dich: „Was könnte meine Mutter gemeint haben?“ oder „Welche Perspektiven fehlen mir gerade?“ Ein Perspektivwechsel kann helfen, aus der emotionalen Enge auszubrechen.
Warum diese Werkzeuge entscheidend sind
Dein Nervensystem beeinflusst nicht nur, wie du die Welt wahrnimmst, sondern auch, wie du Konflikte bewältigst. Am Küchentisch kannst du lernen, mit Kritik umzugehen, ohne dich davon überwältigen zu lassen. Bei globalen Krisen kannst du deinen Einflussbereich erkennen – und anstelle von Ohnmacht in eine handlungsfähige Haltung kommen.
Konflikte und Krisen werden nicht verschwinden. Aber dein Umgang damit kann sich ändern. Und das beginnt mit deiner Fähigkeit, dein Nervensystem zu regulieren – und damit die Geschichten, die du dir selbst erzählst.
Let’s make Haltung great again!
Ob am Küchentisch oder beim Blick auf die Welt – es ist dein Nervensystem, das die Bühne für deine Geschichten bereitet. Wenn du trainierst, in stressigen Momenten sicher und ruhig zu bleiben, kannst du Konflikte als Chancen sehen, anstatt sie als Bedrohung wahrzunehmen.
Welche Geschichten willst du dir erzählen? Welche Rolle willst du in ihnen spielen? Und worauf willst du wirklich deinen Fokus richten – heute in dieser Welt?
Voller Konfliktliebe,
Christiane
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