Familienberatung Christiane Yavuz Mannheim

Über die wertvollste Währung unserer Zeit

Wem schenkst du deine Aufmerksamkeit?

Lesezeit: ca. 5 Minuten

Neulich konnte ich nachts nicht schlafen und dachte, es wär bestimmt ‘ne gute Idee, mich erstmal durch mein Insta-Feed zu scrollen… Und da, mitten in der Nacht, wurde mir die Auswirkung des ständigen "Themen-Hoppings", das uns Social Media, Nachrichten, digitale Verfügbarkeiten und die Welt heute tagtäglich abverlangen, schlag(-in-die-Fresse-)artig bewusst:

Was tun wir uns da eigentlich die ganze Zeit an?

Ich meine: Weder unser Hirn noch unser Herz ist dafür gemacht, all die unterschiedlichen Themen, Probleme, Krisen, Meinungen, Entwicklungen, Neuigkeiten, Altigkeiten…Kochrezepte neben Kriegsberichten 24/7 präsent zu halten. Zumindest nicht so, dass wir dabei gesund bleiben.

Aktuell mach ich eine bewusste Social-Media-Pause bzw. nein: eigentlich ist es eine „mediale-Fremdbestimmungs-Pause“! Denn: ich verteufle nicht „das Internet“, sondern will dem Lärm und der Botschaftenflut nicht mehr ausgeliefert sein – ich will meine Währung zurück!

 

Unsere Aufmerksamkeit: die neue Währung

Ich glaube, in unseren (kapitalistisch sozialisierten) Köpfen steckt immer noch zu sehr drin, dass uns (nur) das arm macht, wofür wir mit Geld bezahlen müssen. Aber das stimmt schon länger nicht mehr! Denn all die Dienste, die wir täglich nutzen, all die Inhalte, die wir konsumieren, all die Themen, mit denen wir Zeit verbringen – all das kostet uns, zumindest so direkt, keinen Cent.

Die Sache ist: Inzwischen zahlen wir mit etwas viel Kostbarerem: mit unserer Aufmerksamkeit.

Jede App, jede Schlagzeile, jeder Feed konkurriert um sie. Denn wo Aufmerksamkeit hingeht, fließt Energie, Klicks, Priorität, Einfluss, Meinungsbildung – und am Ende: Macht.

Was ich schon seit längerem wahrnehme und beobachte – bei mir, meinem Partner, in der Straßenbahn, bei Freunden, bei Menschen, mit denen ich arbeite…: Niemand hat uns beigebracht, wie wir mit dieser Währung haushalten, wie wir sie eigenmächtig managen! Wie wir entscheiden, wem oder was ich sie denn auch wirklich schenken will. Wie wir verhindern, dass sie uns leise aus der Tasche rinnt. Wie wir uns davor schützen, von Empörungs-Erregern angesteckt zu werden oder sie im Sichtbarkeits-Sumpf versickern zu lassen. Und wie wir uns im Alltag immer mal wieder fragen, ob unsere Aufmerksamkeits-Prioritäten denn eigentlich so liegen, wie es uns auch aktuell entspricht.

 

Die Dopamin-Falle: Warum wir immer wieder zahlen

Beruhigend ist ja erstmal, dass dahinter kein Mangel an Disziplin steckt, sondern Biologie.
Jeder kleine Reiz – eine Nachricht, ein Bild, ein Herz-Symbol, eine Merz-Äußerung – aktiviert unser Dopaminsystem. Dopamin ist aber kein „Glückshormon“, wie oft gesagt wird. Es ist ein Anreizbotenstoff – das, was uns antreibt, etwas zu wollen, zu suchen, zu wiederholen. Es verspricht Belohnung – ohne sie sofort zu liefern.

So lernt unser Gehirn: Bleib dran, da kommt gleich noch was. Wie ein Geldautomat, der jedes Mal blinkt, aber nie wirklich auszahlt. Und je öfter wir diese Mini-Schübe bekommen, desto schwerer fällt es, uns auf das zu konzentrieren, was langsame, echte Erfüllung bringt – Lesen, Gespräche, Natur, Tiefe, Verbindung.

Das Ergebnis: Wir sind Reiz-reich, aber Aufmerksamkeits-arm. Ein kollektiver Zustand von Reizüberfluss bei gleichzeitiger Erschöpfung. Wir sind voll – aber nicht genährt.

Und nun liebe Eltern, gebt fein acht, ich hab euch bad news mitgebracht: Für Kinder ist all das nämlich NOCH schwieriger. Kindergehirne sind gerade erst im Aufbau. Der präfrontale Kortex – also das Areal, das Impulse steuert, Fokus hält und Entscheidungen trifft – reift erst etwa ab dem 20. Lebensjahr vollständig aus. Das bedeutet: Sie können ihr Aufmerksamkeitsbudget noch nicht selbst verwalten. Und in einer Welt, die unaufhörlich Reize produziert, brauchen sie keine Kontrolle – sondern vor allem Vorbilder, die zeigen, wie Aufmerksamkeitskompetenz aussieht.

Kinder brauchen Erwachsene, die zeigen, dass Pausen wertvoll sind. Dass Langeweile kein Leerlauf, sondern Sparen ist. Dass bewusster Medienkonsum kein Verzicht, sondern Selbstfürsorge ist.

 

Drei Wege, dein Aufmerksamkeits-Konto zu schützen

1. Budget festlegen

Überlege dir morgens: Wem oder was will ich heute meine Aufmerksamkeit schenken?

Wie bei Geld: Wer keinen Plan hat, wundert sich abends, wohin alles verschwunden ist.

2. Spüren, wann du „überzogen“ hast

Unruhe, Gereiztheit, Nebel im Kopf – das sind Warnsignale eines überzogenen Aufmerksamkeitskontos. Dann hilft: Umpriorisieren. Bewegen. In die Natur schauen.

Das Nervensystem zeigt dir den Weg, wie du dein Konto wieder ausgleichen kannst. Lerne seine Signale kennen!

3. In Reizarmut investieren

Mach dir stille Momente zur täglichen Gewohnheit. Kein Scrollen, kein Input. Das ist kein Stillstand und kein Ausblenden, sondern die Voraussetzung dafür, deine Aufmerksamkeits-Taschenlampe wieder dort hinleuchten zu können, wo du deine Währung auch wirklich „anlegen“ willst.

Reizarmut ist quasi der Zinseszins für deine Klarheit (um die Metapher mit der Währung noch etwas überzustrapazieren ;-))

 

Aufmerksamkeits-Management: DIE Fähigkeit der Gegenwart

Wenn wir uns angewöhnen, unsere Aufmerksamkeit bewusst zu lenken und einzusetzen, verändert sich unser Erleben, unser Fokus, ja alles, mit dem wir uns beschäftigen. Ich merke das gerade schon nach einer Woche Fremdbestimmungs-Pause. Aktuell entscheide ich sehr bewusst und selektiv, wann, wie und was „in die Gunst“ meiner Aufmerksamkeit kommen darf. Ich bin wählerischer mit dem, wofür ich „bezahle“ – und reicher an innerer Ruhe. Denn Aufmerksamkeit folgt Energie – und Energie folgt Entscheidung.

Und genau darin liegt auch ein stiller Schlüssel für unsere Konfliktfähigkeit:

Wer seine Aufmerksamkeit steuern kann, kann auch in hitzigen Momenten wählen, wohin sie geht – in die Empörung oder ins Verstehen, in die Reaktion oder in die Regulation. Jede Übung im Aufmerksamkeits-Management ist also gleichzeitig eine Übung in Haltungsarbeit, in Selbststeuerung – und damit ein Training für gesunde Konfliktkompetenzen.

Und vielleicht ist das der wichtigste Schritt in einer lauten, schnellen Welt: wieder zu spüren, was wirklich wichtig ist. Für dich. Für deine Familie. Für deine Kinder.

Ich glaube, das ist eine Haltung, die uns alle stärkt. Und ich wünsche mir, dass wir sie lernen, lehren – und leben.

 

Voller Konfliktliebe,

Christiane

 

Noch Aufmerksamkeit übrig?

Wenn du deine innere Klarheit und Selbststeuerung stärken willst:
In meinem Buch „Tochter sein auf Augenhöhe“ (Kösel Verlag, 2025)
und im Online-Training Konflikte & Cocktails geht es genau darum –
um Selbstregulation, Haltung und die Fähigkeit, bewusst zu wählen,
wem du Zeit, Energie und Aufmerksamkeit schenkst.